Thema der Gruppenausstellung DER OBSKURE CHARME DES GROßEN PLANS ist unser aktuelles Verhältnis zur Moderne. Die Werke der Künstler Matias Bechtold, EVOL, Alekos Hofstetter, Peter K. Koch und Oliver van den Berg nutzen das Spannungsfeld, dass die „Moderne“ nicht ohne Vergleich zu denken ist: „Moderne“ löst sich – wie dies im Kontrast von „modern“ versus „unmodern“ deutlich wird – von einer Vor- oder einer Nicht-Moderne ab. Es entsteht eine nicht nur vergleichende, sondern auch eine zeitliche Dimension, denn Moderne meint Entwicklung und Fortschritt. Hierdurch ist der „Moderne“ der westlichen Gesellschaften ein auf die Endzeit gerichteter Zeitpfeil eingeschrieben, denn das Paradies auf Erden heißt Fortschritt. Die ausgestellten Werke führen uns zu unterschiedlichen künstlerischen Aussagen über die Distanz, die unsere Gesellschaft inzwischen zu der Moderne und ihrem Fortschrittsgedanken unterhält. Die übergreifende Verbindung, der rote Faden der sich durch die Ausstellung zieht, ist dass alle Werke sich mit der Qualität eben dieser Distanz, insbesondere auch in Bezug auf die heutige Wahrnehmung nachkriegsmoderner Architektur, befassen.
Wie beurteilen wir heute die Architektur der sechziger und frühen siebziger Jahre, einer Zeit der brutalistischen Ästhetik von Sichtbeton und der metabolistischen Grossentwürfe? Am konsequentesten wird der Wille zur kompromisslosen Neugestaltung wohl von dem Schaffen Le Corbusiers verdeutlicht, welcher die “alte Stadt” komplett auslöschen wollte und die Entwürfe seiner neuen „Strahlenden Stadt“ mit einem Raster von Hochhäusern überzog. Auch in den monumentalen Trabantenstädte wie dem Berliner Märkischen Viertel oder der Gropiusstadt wurden neue Formen des sozialen Miteinanders entwickelt und Urbanität als bewohnbare Skulptur gedacht. Die Moderne ist nicht denkbar ohne die Vision vom großen Plan, welcher die Gesellschaft im Prozess einer umfassenden Neugestaltung formt und welcher alles Überholte verdrängt. Die Großartigkeit dieser Gedanken verträgt sich allerdings nur schlecht mit der Realität unserer Zeit in der die nachkriegsmoderne Architektur häufig entweder vergessen zum Restbestand verkümmert oder nur noch im Zusammenhang mit Fragen nach Umgestaltung oder Abriss Erwähnung findet. Durch das Verschwinden der Moderne aus unserer Umwelt löst sich auch ihr einstiges utopisches Versprechen auf und die Ausstellung DER OBSKURE CHARME DES GROßEN PLANS findet Antworten auf die Frage welche Bedeutung diesem Verschwinden zukommt. (A. Hofstetter)
MATIAS BECHTOLD
Der andere Blick, mit dem Matias Bechtold unsere Welt wahrnimmt, ist im Wesentlichen von Massstabsverschiebungen bestimmt. Er miniaturisiert die Moderne. Seine im Modellbau inszenierte Stadt-Topografie lässt zwei Perspektiven zu. Man nimmt sie als skulpturale Körper wahr, kreist in schwindelerrengender Höhe über Stadtschluchten hinweg und denkt sich einen Moment später als ihr Bewohner in sie hinein. Seine Utopien verschaffen nicht nur einen Überblick über die scheinbar grenzenlose Komplexität einer Stadt, sondern eröffnen auch ungewohnte Perspektiven im Detail.
EVOL
Mit Architektur als Metapher für den Zustand der Gesellschaft beschäftigt sich EVOL. Seine Reihe der “Plattenbauten” fungieren als Symbol einer gescheiterten politischen und sozialen Utopie. Sie werden, wie kleine Mahnmale der an den Stadtrand gedrängten großen Brüder, wieder in das kollektive Gedächtnis der herausgeputzten Innenstädte installiert. Parasitär bemächtigen sie sich dabei gewohnter und gewöhnlicher Strukturen und Situationen, die durch minimale Eingriffe eine andere Bedeutung erhalten. Bevorzugtes Material von EVOLs Atelierarbeiten sind ausrangierte Verpackungs- und Umzugskartons, auf die in einem aufwändigen Schablonenverfahren ‘Portraits’ meist schmuckloser unsanierter Berliner Fassaden aufgebracht werden. Die Verpackung dient meist lediglich dem Schutz seines Inhaltes und sammelt so unwillkürlich die Spuren des Gebrauchs. Eine Art visueller Geschichtsschreibung, eine Identität, die den tatsächlichen Gebäuden im Zuge der kommerziellen Sanierungen abhanden kommt.
ALEKOS HOFSTETTER
Alekos Hofstetter funktioniert in seinen Zeichnungen des Werkzyklus TANNHÄUSER TOR Bauten der Nachkriegsmoderne zu utopischen
Kultstätten um. Die neu geschaffene Bildwelt des TANNHÄUSER TORS mit ihren brutalistischen Neu- und Umbauten hat nichts mit Nostalgie gemein und auch die vom Künstler pseudo-romantisch angelegten Landschaften sind wohl eher eine schlaue Finte. Die in den Zeichnungen oft durchgeführte, phantastische Verpflanzung von modernistischen Bauten in Landschaften in denen man wohl eher Burgen vermuten dürfte, macht für den Betrachter sichtbar, dass eine solche Dekontextualisierung eine Neubewertung ermöglicht. Beton. Es kommt eben drauf an, was man draus macht. Alekos Hofstetter holt paradoxerweise auf dem Wege der Entrückung zurück, was in die Ferne abgeglitten war und liefern analytisch klar einen wichtigen künstlerisch Beitrag zu dem längst überf.llig gewordenen sozial-ästhetischen Diskurs um die Verödung, die die fortschreitende Verdrängung der Moderne nach sich zieht.
PETER K. KOCH
Bilder entwickeln eine eigene Logik, wenn alles Darstellende ausgeblendet und der einzig verbleibende Gegenstand des Bildes dessen Materialität ist. Denn die bildimmanente Logik erschließt sich erst während des Studiums der tatsächlichen bildnerischen Mittel. Betrachtet man die Gesamtheit der Arbeiten Peter K. Kochs, wird aus der singulären Logik des einzelnen Bildes ein Muster.
Es sind die Prinzipien geometrischer Abstraktion, Dekonstruktion sowie der gestalterischen Umsetzung materieller Eigenheiten in eine geschlossene, nur auf sich selbst bezogene Form, die er aufs immer Neue variiert. Den inneren Zusammenhang der Variationen liefert das gemeinsame Thema der Reduktion sowie der Grenzgang zwischen eindeutigen Gegensätzen: was aus der Ferne perfekt erscheint, offenbart bei näherer Betrachtung ungeschönte Brüche und eine vermeintliche Fläche stellt sich als räumliche Konstruktion heraus.
OLIVER VAN DEN BERG
Zur Utopie endlosen Fortschritts gehört die Idee einer nahezu übermenschlich perfekten Hochtechnologie: ein Mythos, den Oliver van den Berg mit oft komplexen Mitteln und hintersinnigen Infragestellungen demontiert. In einer skulpturalen Strategie der Nachempfindung von Gegenständen begibt sich der Berliner Künstler auf die Spur der Tücken und Eigenheiten, die den vom Menschen gemachten Produkten grundsätzlich innewohnen. Dabei geht es auch um eine weiterreichende Untersuchung der systemimmanenten Mechanismen, die den Dingen wie z.B. Militär- und Raumfahrtgeschichte, Medienapparaturen, Alltagsgegenständen oder Elfenbeinstosszähnen eingeschrieben sind. Das künstlerische Interesse richtet sich hier gleichermaßen auf das individuelle ›Gesicht‹ wie auf die kollektive Relevanz von Objekten, auch in ihrer Funktion als Erinnerungsspeicher.
Oliver van den Berg reduziert Dinge auf ihre bloße Gestalt, auf ihre prototypische Urform, losgelöst aus Ihrer Umgebung. Sie präsentieren sich so in einer Unverborgenheit, die viel stärker auf das Ideelle, ja Ungegenständliche, zielt, als der im Wiederholungs -Verfahren angelegte Realismus vermuten lässt. Sie sind weniger Abbild der realen Gegenstände, sondern eine Annäherung an das imaginäre Bild, das sie als Teil der Wirklichkeit in unserem Bewusstsein einnehmen. Dadurch vollzieht sich auch ihre diskursive Qualität. Erst im Abbild wird uns die abgründige Verstrickung mit derartigen Dingen gegenwärtig, die wir mit Fiktionen und Erzählungen umkleiden, um ihnen Herr zu werden. In ihrer nackten Präsenz bleiben sie hingegen letztlich ein Rätsel.