Villa Heike & Other Stories — Fortschreibung von Geschichte

Exhibition review by Ferial Nadja Karrasch, art in berlin

 

 

Die Villa Heike öffnet nach langem Leerstand ihre sanierten Türen

Wie wird entschieden, welche Ereignisse der Geschichte (wie) erinnert werden und welche gar verschwiegen und verdrängt werden sollen? Wie schreibt sich Geschichte in bestimmte Orte ein und welche Aufgabe übernehmen diese Orte ihrerseits in Zusammenhang mit der Erinnerungskultur? 

 

Diesen Fragen gehen die 15 Künstler*innen in der Ausstellung Villa Heike And Other Stories auf den Grund. So verdeutlicht zum Beispiel Arwed Messmer (*1964, lebt in Berlin) in seinem Künstlerbuch Berlin 1966–70 (2018) anhand von Aufnahmen der Jugendrevolte der späten 1960er Jahre, dass die Erinnerung an vergangene Ereignisse immer auch eine Frage der jeweiligen Perspektive ist. Die Bilder der Demonstrationen junger Student*innen gegen den Vietnam-Krieg und gegen den Besuch des persischen Schahs sind heute Teil des kollektiven und visuellen Gedächtnisses – doch neben den vielfach veröffentlichten Aufnahmen der damaligen Pressefotografen gibt es noch einen weiteren, weitestgehend verborgen gebliebenen Blick auf die Demonstrierenden: jenen der Polizeifotografen, die hauptsächlich daran interessiert waren, die Beteiligten zu erfassen. Die in „Berlin 1966–70“ gezeigten Aufnahmen stammen aus dem Archiv der Polizeihistorischen Sammlung Berlin und ermöglichen einen Blick auf die historischen Ereignisse durch die Linse der Staatsgewalt. 

 

Dass zuweilen genauer hingeschaut werden muss, um zur Essenz der Dinge, um zur ganzen Wahrheit zu gelangen, wird in The Glory Dozen (2014) von Peter Ruehle (*1975, lebt in Berlin) deutlich. Die 12 Öl-Bilder sind auf den ersten Blick von einem monochromen Schwarz, erst bei genauerer Betrachtung schält sich aus jedem der Bilder ein Gesicht – das geht vor allem im Kontext des Ausstellungsortes nicht ganz ohne ein wenig Gruseln einher. 

 

Valérie Leray (*1975, lebt in Orléans und Berlin) spannt in ihrer Serie In the Making (2009–12) einen Bogen von der Villa Heike zur nahegelegenen ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit und zum ehemaligen Stasiministerium, deren Verhör- und Arbeitsräume heute der authentischen Geschichtsvermittlung dienen. In Lerays Fotografien geht die Vergangenheit in einem beinah spielerischen Form- und Farbspiel auf, die Musealisierung des Vergangenen scheint vollendet zu sein. Die Starrheit und Stille, die aus den Bildern spricht, steht in starkem Kontrast zu dem Umfeld, in dem die Bilder gezeigt werden und der den Beginn etwas Neuen verheißt. 

 

Ausgangspunkt der Ausstellung ist – der Titel lässt es bereits vermuten – der Ausstellungsort und seine bewegte Geschichte: 1910 ließ der Fabrikant Richard Heike die Villa als Geschäfts- und Wohnhaus errichten – in dem großen Saal im Erdgeschoss, in dem heute künstlerische Positionen gezeigt werden, präsentierte Heike einstmals seine Fleischereimaschinen. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Haus weitestgehend unbeschadet, Heike selbst wurde jedoch von sowjetischen Soldaten erschossen, da er russische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter in seiner Fabrik beschäftigte. Fortan nutzte der sowjetische Geheimdienst die Villa zunächst einige Jahre als Verhörzentrale, ehe sie 1951 an die Stasi übergeben wurde. Das Ministerium für Staatssicherheit richtete hier die Hauptverwaltung Personenschutz ein und nutzte die Villa ab Ende der 1950er Jahre als Lager für ihr geheimes Archiv personenbezogener NS-Akten, die sich heute im Bundesarchiv befinden. Das Gebäude lag innerhalb des „Sperrbezirks“, der auf den Stadtplänen lediglich als weißer Fleck erschien. 

 

Nach der Wende stand das Haus ab ca. 1995 leer, bis es 2016 von dem Künstler Michael Schäfer und vier weiteren Künstlern übernommen wurde. Nach mehrjähriger Sanierungsarbeit bietet die Villa mit ihren 1800 Quadratmetern Grundfläche nun umfassenden Raum für Ateliers und Büros. Die Spuren der Stasi-Vergangenheit sind verwischt, doch im zweiten Geschoss, der ehemaligen Wohnung des Fabrikanten und seiner Familie ist der Charakter eines Zuhauses deutlich zu spüren. Die riesigen Fenster, die auf allen Etagen einen Großteil der Fassade ausmachen, kommen den Ateliers zugute, im Dachgeschoss sorgen großzügige Oberlichter für helle Räume. 

 

Bleibt zu hoffen, dass bei all dem Glanz, den die sanierte Villa versprüht, die Mieten der Ateliers erschwinglich sind. 

 

Arbeiten von Bram Braam, Pierre Granoux, Vanessa Henn, Valérie Leray, Wiebke Loeper, Jens Lüstraeten, Arwed Messmer, Manfred Pernice, Sophia Pompéry, Peter Ruehle, Torsten Ruehle, Michael Schäfer, Sonya Schönberger, Nina E. Schönefeld, Christof Zwiener

Kuratiert von Pierre Granoux und Michael Schäfer

 

16. Februar bis 16. März 2019

 

LAGE EGAL [VILLA-HEIKE] 

Villa Heike And Other Stories

Freienwalder Straße 17, 13055 Berlin-Hohenschöhnhausen

lage-egal.net

 

(Bild © Valérie Leray, In the Making (series of 15), 2009 – 2012)

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