Renvoyer l’ascenseur — Pierre Granoux, Künstler und Gründer von LAGE EGAL

Pierre Granoux, Künstler und Gründer von LAGE EGAL — By Leonie Huber, gallerytalk.net

 

Auf dem Mac Book von Pierre Granoux, Künstler und Gründer von LAGE EGAL,

klebt ein Sticker: „I love Duchamp“. Umgeben von Kunstwerken, Büchern und

Notizen unterhalten wir uns anlässlich der Veröffentlichung des retrospektiven

Kataloges „MONOLAGE EGAL 2010 – 2016“ über seinen Projektraum, den er

eigentlich lieber Off-Space nennt.

 

Salut Pierre, wie würdest du LAGE EGAL beschreiben?

Dieser Ort ist nicht – oder nicht ausschließlich – das Atelier eines

Künstlers, aber es ist auch noch keine Galerie. Es ist ein experimenteller

Zwischenraum. Man kann das mit einem Motor vergleichen: Wenn zwei Schrauben

locker sind, gibt es einen Spielraum, in dem Bewegung möglich ist.

Was ist deine Rolle in diesem Zwischenraum?

Die Künstler, die ich einlade ihre Werke hier auszustellen, sind artist-artists. Ich

begreife mich selbst als artist-curator. Einerseits, weil ich Künstler bin und die LAGE

EGAL mein Atelier. Andererseits, weil ich als Kurator die Ausstellungen hier

organisiere. Der Bindestrich verbindet diese beiden Aspekte: Durch meine

kuratorische Arbeit entsteht etwas zuvor nicht da gewesenes, nämlich die

Ausstellung.

 

Die LAGE EGAL besteht in dieser Form seit 2010 Jahren, seit vier Jahren trägt

sie ihren jetzigen Namen. Was ist das Wichtigste, was du in dieser Zeit gelernt

hast?

Ich habe nur Neugier gelernt. Es gibt nicht nur das Eine, sondern auch das Andere.

Es gibt nicht nur einen Künstler, sondern tausende.

Als Künstler, wie als Kurator interessierst du dich besonders für Editionen. Was

sagt diese Faszination über dein Verständnis von Kunst aus?

Eine Edition stellt die Frage: „Warum sollte es nur ein Kunstwerk geben?“ Meistens

ist es die Originalität, die ein Kunstwerk besonders macht. Aber eine Arbeit kann

genauso gut in zehn Exemplaren existieren. Dabei ist jedes Exemplar anders,

unabhängig davon ob jedes Blatt, Buch oder Objekt sich formal von den Übrigen

unterscheidet. Denn keine Seite wird in demselben Moment gedruckt, es gibt immer

eine Sekunde Unterschied und das macht jede einzelne Edition besonders. Darüber

hinaus ist die Frage nach Original, Kopie und Reproduktion ein besonders Thema für

mich, sowohl als Künstler wie auch als Kurator.

 

Du definierst ein Kunstwerk also nicht über seine Einzigartigkeit, sondern

vielmehr über den Moment des kreativen Schaffens, der sich in einer Form

manifestiert.

Ja, aber manchmal habe ich den Eindruck, der Kunstmarkt hätte falsch verstanden,

mit welcher Intention die Kunst sich von dem Paradigma der manuellen Fertigung

und malerischen Einzigartigkeit eines Werkes distanziert hat. Heute wollen alle nur

noch produzieren: „Ich verkaufe dieses Bild gut, dann mache ich noch zehn Stück.“

Dabei reden wir nicht von Editionen, sondern von dem Produzieren von Kunst als

Ware. Die Nachfrage von Seiten des Publikums und den Sammlern nach

standardisierter Betrachter-Kunst ist da.

 

Wie positionierst du dich als unabhängiger Projektraum gegenüber dieser

Szene und den Galerien mit den großen Namen?

Zeit und Neugier, sind zwei Dinge, die Galerien sich nicht mehr erlauben können.

Name dropping ist ein Resultat davon, dass die Leute keine Lust mehr haben sich für

unbekannte Künstler zu interessieren und keine Zeit mehr zu warten, bis die Künstler

groß sein werden.

Die LAGE EGAL ist nur an zwei Tagen geöffnet; die restliche Zeit nutze ich für meine

eigene Kunst oder für Atelierbesuche. Viele Künstler sind überrascht, wenn ich sie in

ihrem Atelier besuchen will, bevor die Planung einer Ausstellung beginnt. Ihnen wäre es lieber mir ein kuratiertes PDF von ihren Werken zu schicken, aber ich will alles

sehen: das Atelier, das Lager, die Toilette, die Teeküche, alles.

 

Wie viele Künstler haben insgesamt schon in der LAGE EGAL ausgestellt?

Alle Künstler, die an Ausstellungen teilgenommen haben, habe ich auf meiner

Webseite als „Creative Fields“ aufgelistet: Aktuell sind es 694 ausgestellte Künstler

und 124 Künstler, die an einem Event von LAGE EGAL beteiligt waren.

 

Unterscheidet sich die LAGE EGAL also durch die schiere Menge an Künstlern

von einer Galerie?

Natürlich gibt es 30 bis 50 Künstler, die regelmäßig hier ihre neuen Arbeiten

präsentieren können. Aber das ist keine Galeriearbeit, weil ich diese Künstler nicht

nach vorne pushen will. Ich interessiere mich für diese Künstler und ihre Kunst, weil

sie vielleicht meiner Vorstellung entspricht oder es Themen sind, mit denen ich mich

selber beschäftige.

 

Wie viel Ausstellungen machst du pro Jahr?

Ich mache ziemlich viele: Letztes Jahr waren es 1,4 pro Monat. Das ist nur möglich,

weil der Name „LAGE EGAL“ auch bedeutet, dass eine Ausstellung hier zu finden ist,

aber auch irgendwo anders in Berlin. So waren zum Beispiel bis letzte Woche drei

Ausstellungen in Berlin von LAGE EGAL organisiert oder ko-organisiert. Die Länge

der Ausstellungen ist sehr unterschiedlich – mal ein Wochenende, eine Woche oder

auch vier bis sechs Wochen.

 

Sind diese kurzen Ausstellungslaufzeiten ein Mittel um dich von Institutionen oder Galerien abzugrenzen, die wesentlich weniger flexibel sind als ein Projektraum wie Lage Egal?

Früher dachte ich, dass Künstler Ausstellungen als Showroom nutzen sollten, indem sie während der Ausstellungszeit möglichst präsent sind – für die Besucher,

Kuratoren und auch Sammler. Tatsächlich sehe ich die Künstler bei der Anlieferung,

bei der Vernissage und dann das nächste Mal beim Abbau. Ich aber erwarte mehr

von der Zusammenarbeit mit den Künstlern und aus eben diesem Grund bin ich kein

Galerist: Ich will nicht alleine dafür verantwortlich sein, dass die Vernissage gut

besucht und die Ausstellung ein Erfolg ist. Ich vermittle gerne Kunstwerke, aber eben

nur gemeinsam mit dem Künstler. Bis heute finde ich das amüsant und interessant:

Leute zu unterhalten, Geschichte zu erzählen, ein Kunstwerk zu verkaufen, mit

Interessenten und Sammlern zu reden, E-Mails zu schreiben. Aber nur, weil ich ein

bisschen Abstand zu all diesen Sachen habe – wie ich zu meiner eigenen Kunst

immer hatte und als Franzose in Deutschland immer habe.

 

Im Dezember letzten Jahres hast du ein Buch über die LAGE EGAL rausgebracht: MONOLAGE EGAL 2010-16. Ist dieses Projekt aus dem Gefühl heraus entstanden zurückzuschauen und zu resümieren?

Die Arbeit an diesem Buch war so einfach oder so schwierig wie ein Kunstwerk zu

erstellen. Das einzige Konzept war, dass ich ein Buch machen sollte. Dann kam der

Name, weil es sich um eine Monografie über die LAGE EGAL handelt. Außerdem ist

Monolage nahe an Monologue, was darauf anspielt, dass ich als Person der

Impulsgeber für dieses Buch war. Ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass das Buch ein Rückblick oder sogar ein

Schlussstrich werden würde.

 

Wie kam es dazu, dass ich das Buch nun in dieser Form in den Händen halte?

Am Anfang hatte ich vor, auf jede einzelne Ausstellung zurückzublicken und einen

Kommentar dazu zuschreiben. Dann hat sich herausgestellt, dass das nicht nur

wahnsinnig viel Arbeit ist, sondern es auch schwierig ist, über die eigene Arbeit zu

schreiben. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, andere Künstler darum zu

bitten. Ich habe 150 Künstler ausgewählt, die regelmäßig hier herkommen oder in

Verbindung mit mir sind, und sie gebeten ein kurzes Statement, wie einen Tweet,

über die LAGE EGAL zu verfassen. Am Ende hat die Grafikdesignerin Angelica

Ruffier-Holmqvist die Zitate angeordnet und in Kapitel unterteilt und, weil sie selber

nicht fließend Deutsch spricht, ist die Einteilung sehr frei. Ich fand es nur gerecht,

dass die Künstler, die hier ausgestellt haben und meine kuratorischen Entscheidungen akzeptiert haben, auch etwas zum Buch beitragen. Auf Französisch nennt man das „Renvoyer l‘ascenseur“. In einem Raum wie diesem so zu experimentieren, wie ich es die letzten sechs Jahre gemacht habe ist auch nicht möglich, wenn die Leute nicht mitmachen wollen.

 

Jetzt ist das Buch fertig. Folgt auf den Rückblick der Neustart?

Mit dem Baugerüst vor dem Fenster schleicht sich natürlich wieder der Gedanke ein,

was passiert, wenn ich hier nicht mehr bleiben kann, wegen Renovierungsarbeiten

oder steigenden Mietpreisen. Ich bin kein Kurator, der an irgendwelchen Tischen

sitzt, ein Konzept entwickelt und ein Projekt plant. Ich bin hier und mache meine

Sachen, davon mehrere gleichzeitig. Das kann ich nur, weil ich an diesem Ort bin.

Das heißt, eigentlich ist die Lage nicht egal.

 

WANN: Die Ausstellungsräume sind von Mittwoch bis Freitag, jeweils von 14 bis 18

Uhr, geöffnet. Aktuell ist dort bis zum 03. Februar „Crosswords 3 – Eine Ausstellung

über textbasierte Kunst an zwei Orten“ zu sehen.

 

MONOLAGE EGAL 2010-16

Berlin Nov 2016. 192 p. + 32 p. Insert, 219 ill., Softcover, 21,5 x 28,5 cm,

German/English, 600 copies. Texte by Nora Mayr, Guido Fassbender, Pierre

Granoux. Edited by Pierre Granoux, designed by Loud Systems, published by

SALON Verlag. ISBN 978-3-89770-449-7. EUR 25,00 +Porto.

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