Die Körperpflegemarke Nivea zog sich jüngst einen kleinen Shitstorm zu, und zwar mit der Werbekampagne für ein transparentes Deo. Der Spruch zum Motiv mit blonder Frau im weißen Bademantel: „White is Purity“. Abgesehen davon, dass sich Nivea nicht zum ersten Mal mit dem Vorwurf einer ethnisch monochromen Denke konfrontiert sieht, müsste doch gerade eine vor allem von Hautpflegeprodukten lebende Marke eigentlich wissen, wie „pure“ denn „white“ so ist… Vielleicht sollten sich die Marketingverantwortlichen für die nächste Kampagne neben einem etwas diversity-affineren Team auch den niederländischen Künstler Ties Ten Bosch als Berater dazuholen.
Der Projektraum Lage Egal macht seinem Namen auch insofern Ehre, als er sich ständig an neuen Orten manifestiert. Die Lage des jüngsten Satellitenraums „In the Rackroom“ mag egal sein, seine künstlerische Bespielung aber ist ortspezifisch konzipiert. Mit seiner Installation „From Scratch“ hält Ties Ten Bosch hier eine Art Schnitzeljagd nach dem Imperfekten bereit, und zwar ganz in Weiß. Beziehungsweise, in Weißen.
Manche Weiße sind weißer als andere, manche eher rosa, oder gelblich, oder frisch oder fahl oder was auch immer, kann man sich ja vorstellen, wenn man nicht gerade bei Nivea arbeitet. Aber die Erfahrung der unendlichen Vielfalt und Tiefe von „Weiß“ in dieser Installation erschöpft sich nicht nur darin, dass alle Arbeiten von Leinwänden bis zu skulpturalen Elementen in Weißtönen gehalten sind. Es kommt noch ein kleines Vexierspiel dazu, indem Ten Bosch seine Arbeiten mit intendierten Spuren des Imperfekten angereichert hat. Hier ist die Kante einer Stele abgestoßen, dort steht eine ganz leicht schief, da drüben sieht man ein paar grob verspachtelte Bohrlöcher… Und weil der Raum selber, wie es für Berliner Ausstellungsräume halt immer noch typisch ist, auch nicht gerade perfekt ist mit dem nicht ganz plan gegossenen Fußboden, den Kerben in der Fensterbank und den Haken in der Decke, die noch von der letzten Installation herrühren könnten, fragt sich das Betrachterauge die ganze Zeit, ob es eine vom Künstler gelegte Spur entdeckt oder es im Ehrgeiz übertrieben hat, noch die letzte Nuance im perfekt imperfekten Weißen Rauschen auszumachen.
Kunst ist immer abhängig vom Raum, in dem sie gezeigt wird. Mit der Installation eines Werkes steht man vor der Herausforderung, die Gegebenheiten des Raumes zu nutzen und sich gleichzeitig dagegen zu behaupten. Ten Bosch hat diese beiden Notwendigkeiten zu einer Einheit verbunden und überlässt dem Betrachterauge die Entscheidung über die Gewichtung zwischen Kunst und Raum. Und weil mit jedem neuentdeckten Detail diese Gewichtung womöglich wieder neu vorzunehmen ist, kann man schon eine Weile verbringen in diesem kleinen Raum. Nebenbei lässt sich noch eine Erkenntnis mitnehmen: Egal, wie „rein“ das gedacht ist, was einem Kunst präsentieren will, es ist immer kontaminiert, weil man bei der Betrachtung sich selbst einbringt. Reinheit funktioniert nur bei Leuten ohne Augen im Kopf.